EHEC, ein Darmbakterium infiziert den Darm – eine Tautologie?
EHEC ist das neue Schreckgespenst im Abgrund menschlicher Krankheiten. Wie immer ist der Verursacher schnell erkannt: ein Virus, ein Darmvirus. Täglich werden die Zahlen der neuen Todesopfer mitgeteilt. Es herrscht Krieg. Der neue Gesundheitsminister stellt sich vor die Kameras und begeht seine erste öffentliche Amtshandlung. Er warnt vor dem Virus der inzwischen bereits den Namen der Krankheit trägt: EHEC-Virus. Man soll vor dem Verzehr von Gemüse selbiges unter fließendem Wasser abspülen.
Wie kommt ein Gesundheitsminister darauf, die Scheißhausparolen der Regenbogenpresse als Amtsmitteilung zu verbreiten? Weiß er nicht, dass sich Viren nicht einfach abspülen lassen? Dass Viren nur sehr schwer zu vernichten sind? Ach ja richtig, das Max-Planck-Institut wußte je bereits Bescheid. Genauso seriös über die Entdeckung des Virus berichtet wurde kommt nun der ebenso medizinisch sachliche Bericht über den Bakterienfund daher. War eben ein Irrtum, also doch kein Virus. Allgemeines Aufatmen, gegen Bakterien gibt’s bestimmt was in der Apotheke.
Spätestens jetzt kommt mir der Gedanke, hey was für ne geile Geschäftsidee ist das denn. Mir stehen mit einem Schlag sämtliche Medien weltweit in der Prime Time zur Verfügung. Da ist sie auf einmal, diese unsichtbare Bedrohung aus dem Nichts. Und nur mein Pharmaunternehmen hat einen Impfstoff entwickelt. Das war eher zufällig vor vielen Jahren im Rahmen eines Rüstungsprojektes. Und nun wollen es alle haben. Die Hysterie geht um.
Der Haken an EHEC ist jedoch, es hat sich bisher kein Labor für die jetzt EHEC-Bakterie heißenden Mikroben interessiert, ihn gar als Bedrohung klassifiziert. Es sterben Menschen und in ihrem Darm kommen diese Bakterien vor. Es sind Darmbakterien, eines von vielen. Eine ganz bestimmt Unterart soll ganz besonders giftig sein. Ist das wieder eine Darm-Virus-Irrtum-Ente? Mutmaßungen zweier Forscher lassen eine neue Bedrohungsrealität entstehen. Bei Blutvergiftung kommt man ganz modern an den Ganzkörperentgifter, Dialysegerät genannt. Warum ein Darmbakterium eine Blutvergiftung auslösen soll. Diese Frage bleibt von der neu gebildeten EHEC-Taskforce-Front offen.
Kein „Tamiflur“ verfügbar? wie schade, das hätte die Umsätze eines glücklichen Pharmakonzerns explodieren lassen. Was für eine rosige Zukunft, wenn dereinst Pharmariesen just in time die nötigen Antibiotika und Schutzimpfungen zur aktuellen Megaseuche liefern können. Mit einer ferngesteuerten Rezeptanrichte in jeder Apotheke. Ich bin mir sicher, der Tag wird kommen wo das erste System online gehen wird. Mitfinanziert von der WHO und den nationalen Gesundheitsministerien. Man wird es als Durchbruch in der Seuchenbekämpfung feiern. Wer in den Genuss dieser neuen Technik kommen will, muss seiner Krankenkasse 10% mehr zahlen.
Aber das ist Zukunftsmusik. Jetzt geht die Hatz gegen die Gemüsebauern los. Zuerst sind es die Holländer. Klar, wir wissen doch, der Holländer kackt gerne mal in das malerische Salatfeld. So urig geht das bei den Bäuerlein eben zu. Vielleicht ist es auch nur ein gärtnerischer Wudu, um dieses fade Gemüse noch edler aussehen zu lassen. Blöd ist nur, dass der holländische Bauer ein Industrieanlagenmanager ist und dass sein Gemüse auf Steinwolle wächst und mit einer genau berechneten Nährlösung beträufelt wird. Wie sich dorthin ein Darmbakterium verirren soll, bleibt schleierhaft. Dennoch bringt die ARD in der Tagesschau genau diese Meldung.
Es herrscht offener Handelskrieg! Schnell werden noch die spanischen Bauern zu Feinden erklärt. „Man wisse nicht genau“, sind es die holländischen Salate oder die spanischen Tomaten oder Gurken. Auf jeden Fall steckt die Bedrohung im Gemüse. Zwei andalusische Ökobauerhöfe werden geschlossen. Die kollaborieren bestimmt auch mit Separatisten und bauen heimlich Hanf an. Spätestens jetzt denkt sich jede kluge BILD-Leserin, ich esse mal am besten überhaupt kein Gemüse mehr, sicher ist sicher. Das spanische Mutantengemüse mt zweifelhafter algerischer Nähe sollte man ja sowieso ganzjährig meiden.
Doch oh Wunder, es vergehen nur wenige Tage und schon ist geklärt, weder die Gurke noch das Salatblatt sind schuld. Es sind die Tiere. Etwa wieder diese Ratten , wie bei der Pest? Der urbane Mensch fürchtet nichts mehr als eine Epidemie in seiner Stadt. Da geht der Sensenmann um und greift sich wahllos den Einen oder die Andere – unsichtbar. In Hollywood ist das ein ganzes Genre mit Gruseleffekten die tief nach den menschlichen Grundängsten greift.
Spätestens jetzt wird klar, hier wird auf Zeit gespielt. Jemand hat ein Trumpf-As fast im Ärmel. Vielleicht läßt sich die Story noch eine Weile weiter kochen und ein Pharmariese gewinnt den laufenden Wettbewerb um die erste Schutzimpfung. Man könnte da sogar mit Ausnahmen im Zulassungsverfahren rechnen. So lange läßt man den Träger des Erregers einfach kreisen. Der Träger selbst ist auch egal und eher was für die Strategen an den Handelsfronten. Bauern werden sicher wieder großzügig von der EU entschädigt, wenn sie alle Hühner schächten müssen.
Oh wie gut geht es uns in dieser modernen Welt. Welch gewaltige Systeme sorgen mit Hochdruck dafür, dass wir uns sicher fühlen können. Diese Sicherheit kostet zwar eine Menge Geld, adlige und geistige Fürsten des Mittelalters wären neidisch auf die verwaltungsherrliche Praxis heutiger Gesundheitssysteme, zwangsweise per Gesetz 15, nein 20, nein 30 Prozent des Einkommens einzuziehen. Den „Zehnt“, das würde alleine die Organisation kosten, die diese gewaltigen monatlichen Finanztransaktionen verwaltet.
Dennoch bleibt eine kleine Angst. Was nun, wenn es kein Gegenmittel gibt und immer mehr Menschen die Scheißerei bekommen und sich das Blut dramatisch verändert? Gibt es dann das Geld zurück? Nee, natürlich nicht, das ist ja eine Versicherung auf die Option einer Krankheit. Ob dazu eine Dienstleistung geboten werden kann, das ist natürlich nicht versichert. Ich zahle also eine Wette, dass ich nicht krank werde und auch kein Medikament brauche gegen die Option dass ich krank werde und es keine Therapie gibt. Oder noch besser, wo es nur ein Medikament gibt, dass das Symptom bekämpft. Damit schaffe ich mir regelmäßig zahlende Symptombekämpfungskundschaft. Der Erreger selbst wird zum besten Freund der Rendite und sollte möglichst geschützt werden.
Aber leider ist diese Verschwörungsversion auch nur die weitere mögliche Hollywoodvariante einer üblen Tragödie. Was hier so theatralisch mit viel Theaterdonner Oskar-marketingreif inszeniert wird ist ein Märchen. Es ist das Märchen der modernen Medizin. Der Onkel Doktor mit dem weißen Kittel hat in der Flasche eine bittere Medizin die die böse Krankheit besiegt. In der Regel kämpft er gegen Viren und Bakterien.
Irre an diesem Märchen ist, dass die ganze Welt voll ist mit diesem Getier. Und die meisten von ihnen leben in uns selbst. Es sind unsere wichtigsten Partner im Kampf gegen Einzeller. Ein Darmbakterium wirkt im Darm weil es da lebt, seit dem unsere Ahnen dereinst ihren ersten Dung in die Savanne legten. Die Schulmedizin findet es auch bei Kranken mit Durchfall, weil es dort lebt und gerade besonders viel zu tun hat. Wenn sie wollten, würden sie auch weitere Darmbakterien finden. Aber diese wären nicht so fürchterlich „giftig“.
Wieder wird nicht die Ursache sondern das Symptom als Gegner identifiziert. Ein Bakterium, das man als Actimel, sorgsam aus Säuglingskot gezüchtet, im Kühlregal als „Bifidus“ Bombastus für viel Geld erwerben kann? Warum wird nicht der Pilztyp analysiert, den das Bakterium so intensiv bekämpft, dass man davon Bauchgrimmen, Blähungen und Durchfall bekommt? Weil dieses Bakterium und alle seine Brüder längst aus dem menschlichen Darm vertrieben wurden. Tonnenweise konsumieren wir mit der täglichen Nahrung die Antibiotika die den Tieren bei der Mast zugefüttert werden. Denn die sollen ja auch keinen Durchfall bekommen.
Der Darm ist randvoll mit Pilzen bewachsen. Das finden höchstens Heilpraktiker beunruhigend. Dem Schulmediziner sind die Pilzhyphen im Kot nichts Besonderes, „die machen in der Regel keinen Stress“. Doch na klar, wenn man sich versehentlich mit einem Darmbakterium infiziert hat. In einer antibiotikafreien Welt wäre es doch aber genau anders herum. Da würde das Darmbakterium da leben woher es seinen Namen hat, im Darm. Und jeder Besiedelungsversuch eines Pilzes würde scheitern. Die Bakterien würden den Pilz sofort mit ihrem Wasserstoffperoxidmantel in Wasser und Sauerstoff auflösen. So ein Kampf würde nur einen kleinen Pfurz auslösen, keinen bauchgrimmenden Durchfall.
Es scheint der Preis der Zivilisation zu sein, sich nur noch in Clean-Räumen ungefährdet aufhalten zu können. Wie romantisch war noch die Zeit, als unsere Urgroßeltern den frisch gezupften Grashalm in den Mund schieben konnten, ohne sich sofort zu „infizieren“. Der Ärmste war noch nicht mal krankenversichert und starb mit 92 Jahren an Altersschwäche.
Eine Frage bleibt mir im Kopf hängen. Was hat uns wirklich so anfällig gegen all diese bösen Bakterien gemacht? Wer verdient das meiste Geld daran, wovon wir uns ernähren? Die Lebensmittelindustrie oder die Pharmaindustrie? Oder ist es der gleiche Mutterkonzern in ausgeklügelter Kooperation? Der jüngste Spiegelartikel endet jedenfalls mit dem trotzigen Zitat einer infizierten Schwangeren: „Ich kann sogar schon wieder Schokolade essen“. Ein Satz mit hoher Symbolkraft. Der Zucker in der Schokolade hilft den Pilzen im Darm mehr als es den Bakterien als kampfstärkende Nahrung dienen könnte. reichlich Zucker und eine flankierende Symptomberuhigung durch den Arzt läßt den Befall der üblen Bakterien schnell wieder vergessen. EHEC wird genauso lautlos wieder von der Bildfläche verschwinden wie er plötzlich in aller Munde war. Nur die Pilze haben wieder das Kommando im Darm übernommen und spielen wieder eine tickende Zeitbombe. Auf Wiedersehen bis zur nächsten Epidemie durch ein Darmbakterium. Eines das stark genug ist gegen dieses Bollwerk aus kohlenhydratreicher Ernährung. Einem zweiten Bollwerk mit Selbstschußanlagen ziehenden Medizinern, die mit dem Mikroskop auf der Jagd nach möglichst ungewöhnlichen Varianten einer Varianz zu forschen und mit einem Schlag im Rampenlicht des öffentlichen Interesses zu stehen. Und einem dritten Bollwerk aus perfekt entwickelten und koordinierenden Pilzstrukturen im menschlichen Körper.
Die Sache würde für den Darmpilz gut laufen wenn es ihm sein menschlicher Wirt nur nicht so extra schick einrichten würde. Mit jedem weiteren Kilogramm Fett am Körper sinkt die Kraft der eigenen Körperabwehr. Da genügt schließlich schon die kleinste Infektion und eine metabolisches Syndrom bricht aus, mit zumeist tödlichen Folgen für den Wirt. Und die Verfettung in der Bevölkerung nimmt dramatische Ausmaße an. Die folgende Abbildung zeigt die prozentuale Entwicklung der Fettleibigkeit in den USA.
Anteil der Fettleibigen in den USA, Entwicklung. Studie der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC
Bei einer pandemischen Ausbreitung eines neuen bösartigen Darmbakteriums würden gerade die Fettleibigen besonders schwer an der Erkrankung leiden. Bei einem Anteil von mehr als 30% der Bevölkerung würde jedes Gesundheitssystem zusammenbrechen. Die Zahl der Dialysegeräte ist beschränkt und nicht eingerichtet, einem Drittel der Bevölkerung das Blut wegen einer Darmpilzinfektion waschen zu müssen. Aber gerade darauf sollte man sich in den Industrieländern vorbereiten. Es ist nicht die Frage nach dem ob sondern die Frage nach dem wann.
Und so sehen die zukünftigen Konsumentengenerationen bei ihrer Freizeitbeschäftigung aus. Sie ähneln eher Michelin-Männchen und kommen in ihrer Erscheinung den Reisenden der Axiom in I-Robot ziemlich nahe.