Rezension der Ausstellung Körperwelten

 

 

Das Innere des menschlichen Körpers ist eine faszinierende und unbekannte Welt.  Er ist ein Kosmos der nur in Abstraktionen wie Herz oder Lunge präsent ist. Unter die Haut sehen zu können, ist ein Privileg der Chirurgen und Pathologen. Aber schon dem gewöhnlichen Hausarzt bleibt dieser Blick verwehrt. Er muss seine Diagnosen im Blindflug stellen. Hagens Ausstellung Körperwelten bricht diese Rollen auf. Seine Plastinate offenbaren die inneren Zusammenhänge und Technologien. Abstrakte Begriffe bekommen eine Form und einen Ort. Das Wichtigste aber ist, dass die ernährungsbedingten Veränderungen des Körpers eindrücklich sichtbar werden. Vielleicht sind es genau diese Eindrücke die Hagens auf die Rückseite seines Kataloges schreiben lassen: „Mein Leben als Arzt, Anatom und Plastinator hat mir gezeigt, dass das Leben die große Ausnahme ist, der Tod hingegen Normalität.“.

Hagens ist ein Aufklärer der uns hilft, sich ein wenig von den Agenten der Gesundheits- und Krankheitsindustrie zu emanzipieren. Der Blick auf die Plastinate ist ein Blick in den eigenen Körper. Ein Blick der nach wie vor tabuisiert ist und von Einigen als Respektlosigkeit gegenüber den ausgestellten Menschen angesehen wird. Von Hagens ficht das kaum an. Im Gegenteil, er setzt noch eins drauf und inszeniert seine Ausstellungsstücke in kleinen provokanten Szenen. Diese Szenen geben der Ausstellung eine Frische, die bei konservativ wissenschaftlichen Ausstellungen nie vorkommen werden. Die durch den kommerziellen Erfolg erreichte Unabhängigkeit erlaubt von Hagens eine angenehme Freiheit vor den Dogmen wissenschaftlicher Seriosität.

Erstaunlicher Weise wirken die Inszenierungen nicht geschmacklos. Vielmehr wird die Sicht auf die Blutgefäße, Muskeln und Knochen durch dieses Arrangement normalisiert, besser noch trivialisiert. Ob Geschlechtsakt oder Pokertisch. Der Haut entledigt sehen diese Wesen aus wie feinmechanische Meisterwerke. Gelenke werden über meterlange Sehnen angesteuert, die sich mit ihrer weißen Masse bis tief in den Muskel ausbreiten.

Umso ärgerlicher ist es, dass in der Ausstellung das Fotografieren verboten ist. Nur ein flüchtiger Blick aufs Handy scheucht mahnende Ordner auf die in ihrem Ton eher an ein Untersuchungsgefängnis und nicht an einen Ort der Erleuchtung erinnern.

Die aktuelle Ausstellung im Postbahnhof am Ostbahnhof in Berlin steht unter dem Motto „Eine Herzenssache“. Der Themenschwerpunkt wird bei den ersten Exponaten aufgegriffen. Doch bereits im zweiten Raum stehen die Plastinate wie sie schon immer in den „Körperwelten“ stehen. Einigen der in Polymere vergossenen Gewebe sieht man ihre lange Reise in die Ausstellungen dieser Welt bereits deutlich an. Hier verlieren sie ihre Aura, ihre Ästhetik der Funktionalität.

Mich haben vor allem die metabolischen Organe und Drüsen interessiert. Leider differenziert von Hagens hier nur in seltenen Ausnahmen. Auch die Plastination ist eine abstrahierte übersetzte Sicht auf den Körper. Bei aller Ausgeflipptheit der Arrangements  verharrt Hagens im Kanon der klassischen Medizin. Säuberlich sind weißes Körperfett, Gekröse und endlose Bindehaut entfernt worden. Von ihrer Existenz zeugen nur noch Stummelchen an den Gelenken und Organenden. Ursprünglich rotes Muskelfleisch ist inzwischen genauso blass grau-braun wie das  alles umgebende Fettgewebe, bzw. Bindegewebe. Die deutliche Trennung zwischen rotem und weißem Gewebe weicht der gräulichen Soße eines in Alkohol eingelegten Präparate. Bei einer Gesamtdarstellung der Blutgefäße im Kopf wird dagegen alles komplett rot eingefärbt. Diese Exponate erscheinen wie in einen Farbtopf gefallen. Lediglich die Struktur gibt noch einen ästhetischen Reiz.

Für mich sind daher die Querschnitte durch einzelne Organe oder ganze Körper die ehrlichsten und informativsten Exponate. Die Gegenüberstellung zweier männlicher Körper, einem 150 Kilo-Mann und einem „Normalgewichtigen“ im Querschnitt lässt jeden Besucher raunen. Deutlich werden die Dimensionen sichtbar, wie sehr Verfettung den Körper verändert und ihn mutieren lässt. Ähnlich eindrücklich sind die verkalkten und mutierten Aorten. Hilflos erscheinen die sich bereits neu verkalkenden Stents in den endlosen Massen an Kalkablagerungen und Gewebsveränderungen der Aderoberfläche. Diese Aorten sehen aus wie das Innere uralter Abflussrohre und nicht wie die Transportbahnen menschlichen Blutes.

Von Hagens ist ein Künstler. Seine Präsentationen haben einen ästhetischen Anspruch. Darunter leidet mitunter der informative Wert. Das macht die Ausstellung aber umso sehenswerter. Der angebotene Katalog hat eine hohe gestalterische und drucktechnische Qualität und ist mit seinen 280 Farbseiten für 19 Euro ein Schnäppchen.

Von Felix Cyano

Erkenntnisgewinnungstechniker

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