Mysterium der Askese
Askese ist ein Mysterium, für den der sie nicht versteht und erst recht für den, der sie betreibt.
Askese ist – psychologisch beschrieben – der bewußte Triebverzicht, die bewußte Verweigerung der Triebbefriedigung des Hungers, der Lust des Essens. Askese sublimiert nicht.
Askese ist – humanbiologisch beschrieben – das bewußte Eintreten in die Ketose. Das ist ein Stoffwechselzustand bei dem der menschliche Organismus seinen Kohlenhydratstoffwechsel herunter fährt und sich auf die Verarbeitung von Ketonkörpern anstelle von Glucose einstellt.
Askese reinigt Körper und Geist. Angst und Bequemlichkeit verhindern diese Erfahrung. In drei Tagen beginnt sich das Körpergefühl zu verändern. Gleichzeitig wird die Umwelt wacher wahrgenommen. Die anfängliche Gereiztheit weicht einer tiefen inneren Ruhe. In diesem Zustand wird die vom Körper benötigte Energie direkt aus dem Fettgewebe abgebaut. Der Körper beginnt blumig zu duften. Das anfängliche Hungergefühl verfliegt. Es macht sich eine Leichtigkeit breit, die das Herz beschwingt und die Welt in neuem Glanz erstrahlen läßt.
Askese funktioniert nicht unter Zwang. Nur die freiwillige Unterwerfung unter den Verzicht erzeugt diese körperlichen und mentalen Reaktionen. US-amerikanische Soldaten wurden zum Ende des 2. Weltkrieges in einem Experiment für mehrere Monate in unterschiedlichen Dosen auf Nahrungsentzug gesetzt. In allen Gruppen war „Essen“ das ständige Gesprächsthema. Keine der Gruppen überraschte mit einer ungewöhnlichen Gesundheit. Im Gegenteil, es mussten die Folgen der andauernden Unterernährung behandelt werden.
Die bewußte Askese verblüfft ihren Anwender in der Sparsamkeit des Nahrungsbedarfes. Die Küche mit all ihren Geräten und Maschinen erscheint übertrieben, für eine so nebensächliche Beschäftigung. Der Nahrungsverzehr ist der teuerste Posten des modernen Primaten. Essen kostet Zeit, Geld und Arbeitsleistung. Es ist ein Investment in die Befriedigung des animalischsten seiner Triebe.
Askese ist der Antichrist des Konsums. Askese verweigert nicht, Askese entsorgt Konsum.
Askese ist das Infragestellen der Humanmedizin, der Ernährungswissenschaft oder der Öko- und Bio-Szene. Es sind Agenten des Verinnerlichens, des Verdauens und Ausscheidens. Sie sind es die den scheinbar gesunden Alternativweg predigen oder den Zustand der Askese zu einem lebensbedrohlichen Körperzustand oder einer gefährlichen Krankheit postulieren.
Der Asket ist ein Aussteiger. Von seiner Umwelt wird er kaum verstanden oder toleriert. Er ist ein durchgeknallter Spinner, Einer der plötzlich fromm wurde oder sein Altwerden nicht verkraftet hat.
Ein Asket ist ein magersüchtiger Jugendlicher, der sich in seinem „schrecklichen Zustand“ auch noch wohl fühlt. Ein Asket wird mitleidig ob seiner bekümmernswerten Gestalt in die Hüfte gekniffen.
Die Präsenz eines Asketen ist die Offenbarung für das verdrängte Wissen um die eigene Bequemlichkeit, seinen Körper langsam aber sicher den Verfettungstod sterben zu lassen.
Buddha fand durch Askese den Pfad zur Erleuchtung. Das feist grinsende, adipöse Geschöpf, was heute als Buddha-Figur trotzig von der neuen Zeit des totalitären Libertinismus gerne in den ganzheitlichen Schrein gestellt wird, ist eine traurige Karikatur. Sie ist eine Metapher selektiver Rezeption und Exegese, ein Symbol für die Negation kanonisch festgelegter Heilsrituale.
Dünn sein umgibt heute das Stigma von Krankheit, Aids oder Krebs: „Ein normaler Körper hat Fett auf den Rippen, wegen der nächsten Eiszeit…“ Der letzte dünne Held der Geschichte war Mahatma Gandhi. Seine Nahrungsverweigerung sollte Hindu und Moslems versöhnen.
Wenn heute ein übergewichtiger Politiker in „Hungerstreik“ tritt, wirkt das kaum überzeugend. Die Assoziation wechselt von besorgt zu belustigt. Dabei ist es genau umgekehrt. Dick sein kostet viel Energie. 30 oder 40 Kilo Fettgewebe bedürfen intensivster Pflege und Versorgung mit Nachschub. Je dicker der Körper umso aggressiver reagiert er auf Versorgungsstreß.
Maß zu halten, sich nicht der Todsünde der Völlerei hinzugeben und regelmäßig Askese zu betreiben, das sind Grundsäulen aller Weltreligionen. Weltreligionen sind Heilslehren mit dem Ziel, Heil und Heilung zu lehren, zu predigen, zu fordern. Heilslehren sind Handlungsanweisungen das Krank sein zu verhindern.
Mit ihren asketischen Entsagungsgeboten erscheinen sie dem Laien als weltfremd und unrealistisch für den Alltag. So existiert eine Hierarchie in der Disziplin des Kodex der Gläubigen, der Gläubigkeit, wie sie sich in unterschiedlichem Maße an die Gebote ihrer Lehre annähern. Der inkonsequente Laie wird das große Ziel seiner Heilslehre nicht erreichen, aus dem Vater selbst,den Sohn zu gebären und ihn mit dem heiligen Geist wieder zu vereinen. Er wird wahrscheinlich nicht einmal begreifen, worum es in dieser Allegorie geht.
Die Askese als Axiom aller Heilslehren wurde zu Grabe getragen, geopfert auf dem Stein des Unverstandes und der Bequemlichkeit. Hunger ist der vulgärste aller Triebe und zugleich der größte Entfremder zum eigenen Körper. Der animalische Trieb hat gegen den Kultus gewonnen, noch vor der Aufgabe des Zölibates. Ob Hindu, Moslem, Jude, Christ oder Buddhist – überall dominieren Geistliche mit erheblichem Übergewicht. Doch wer viel speist ist auch permanent notgeil. Wer sich der einen Lust hingibt wird zum Opfer weiterer Gelüste. Das hat „Mutter Natur“ so eingerichtet.
Das Weihnachtsfest ist das Fest von der Geburt einer Hoffnung, dass es Licht werde. Einer Hoffnung, dass es gelingt, dass Körper und Seele dereinst bei dem Geborenen eins werden und er als Heiland das Heil über die Welt bringen wird. Ein Heil, dass alle Krankheiten heilt und sogar die Toten wieder auferstehen lassen wird. Die Welt tanzt ihre eigene Tragödie. Sie tanzt zu einem Fest auf der die Antithese den Takt angibt.
Auch an den religiös dominierten Kernländern, den scheinbaren Zentren der noch reinen Lehre, sind die Spuren der Zivilisation nicht vorbei gegangen. Im Wikipedia-Artikel zum Thema Askese werden asketische Mönche der Sadu gezeigt. Wenn man ihre Leiber mit der Darstellung des erleuchteten Buddha vergleicht, scheinen die rezenten Mönche noch eine Menge spiritueller Arbeit vor sich zu haben, um auch nur annähernd zu begreifen, dass ein dicker Wanst jede Form der Transzendenz buchstäblich erdet.
Das gleiche Bild bietet auch die heutige Buddha-Rezeption. In einem Reiseführer für Chiang Mai wird ein asketischer Buddha dargestellt. Das Bild heißt: „hungry_buddha.jpg“. Für heutige Betrachter entseht bei dem Anblick spndeldürrer Buddhas nur eine Assoziation, „schnell etwas essen…“. Dem Zeitgeist sympathischer sind aktuellere Darstellungen eines feisten und übergewichtigen Buddhas, dem auch noch der „mittlere Weg“ angedichtet wird. Der Sinn der Askes und Entsagung ist dabei gänzlich verloren gegangen.
Weder die Asketen aus Katmandu als auch der dargestellte erleuchtete Buddha haben tatsächlich die angestrebte Reinheit erreicht. Die Sadus frönen alzu sehr den Kohlenhydraten, was sie in den Leibesdimensionen deutlich vom erleuchteten Buddha unterscheidet. Gleichwohl auch der erleuchtete Budhha nur eine Zwischenstufe der Reinheit darstellt. Sämtliche seiner Muskeln sind von Bindegewebe fest ummantelt, so das er aussieht wie ein ausgezehrter Spinnenmann. Fettfreiheit ist jedoch die Voraussetzung, seinen Körper aus den Ummantelungen des Bindegewebes zu befreien, Schritt zwei auf der Reise zum Lichtmenschen.
Amun
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